Mittwoch, Tag 3 – Im Reich der Steinböcke
Ein stressfreier Morgen
Nach der anstrengenden Etappe gestern lässt uns die Vorhersage eines Gewitters für den Nachmittag völlig kalt: Nur drei bis vier Stunden Wanderung stehen auf dem Programm, und das vor allem bergab – sehr zur Freude von Jean-Christophe… Wir lassen es also etwas angehen und genießen die Stille der Berghütte, bevor wir uns wieder auf den Weg machen.
Zwischen Mooren und Erinnerungen an Island
Der Weg schlängelt sich zunächst zwischen Gewässern und Bergmooren hindurch; die Wollgräser – Baumwollgräser – wiegen ihre weißen Pompons wie riesige Wattestäbchen. Sofort kommen uns die Landschaften Islands in den Sinn. Der Aufstieg ist sanft, wir können die Landschaft in vollen Zügen genießen, ohne einen Fehltritt zu riskieren… dann wird es plötzlich steil, wir verstauen unsere Stöcke und klettern mit Händen und Füßen weiter, bis wir schließlich einen einfachen, aber herrlich spaßigen Klettersteig mit einem Hauch von Akrobatik erreichen.
Simmingjöchl
Auf dem Gipfel dient die alte Zollhütte noch immer als Notunterkunft. Der Wind ist schneidend, alle ziehen Pullover und Windjacken an… außer einer Person, ratet mal, wer?
Vor uns erstreckt sich ein neuer Hang: raue Gneisblöcke, ein ideales Felschaos, um von Stein zu Stein zu springen, darunter Bäche, kleine Seen und Wasserfälle. Jean-Christophe – euphorisch – verwandelt sich in eine Gämse, unter dem erstaunten Blick von Vera, die sich fragt, was er wohl gegessen haben mag.
Begegnung mit einer Herde Steinböcke
Eine Bewegung zieht seine Aufmerksamkeit auf sich: Zwei lange Hörner wie Krummsäbel ragen aus dem Kamm hervor. Im Nu entdecken wir eine ganze Herde Steinböcke. Improvisierte Mittagspause, alle Blicke sind auf sie gerichtet. Das dominante Männchen bleibt unbeeindruckt, liegt da und steht erst am Ende auf, um sich mit seinen Hörnern am Rücken zu kratzen. Um ihn herum spielen die Jungen Rammespiele.
Die Freude an Tiernamen, die von einer Sprache in die andere wandern
Jean-Christophe, ein Liebhaber der Berge und der Natur, zeigt diese Steinböcke Wanderern, denen er unterwegs begegnet. „Schaut euch diese Tiere an!“, sagt er und zeigt mit seinem Stock auf sie, da er den Begriff in den anderen Sprachen (Englisch, Deutsch oder Niederländisch) nicht kennt. Und da holen die internationalen Besucher ihr sprachliches Arsenal hervor. Auf Deutsch? „Gämse“. Auf Niederländisch? „Gems“. Auf Englisch? „Gems“. Hoppla … nur dass das alles Begriffe sind, um eine Gämse zu beschreiben, aber es handelt sich hier um Steinböcke!
Woher kommt diese Verwirrung? In Südafrika nennen die Englischsprachigen eine bestimmte Antilope „Gemsbok“. Und der „Steenbok“? Das ist dort eine weitere Antilopenart. Kommt die Verwirrung daher?
Die richtigen Begriffe sind „Steinbock” auf Deutsch, „steenbok” auf Niederländisch und „steinbock” oder „ibex” auf Englisch. Da ist man fast mit seinem Latein am Ende! … Übrigens müsste man diesen französischen (und auch deutschen?) Ausdruck für diesen Fall anpassen, denn man ist eher mit seinem Germanisch am Ende!
Kurz gesagt, zwischen Steinböcken, Gämsen, Antilopen und ungenauen Übersetzungen kann einem schon schwindelig werden. Schließlich sind es dieselben Englischsprachigen, die die Niederländer „Dutch” und die Deutschen „German” nennen. Verwirrung? Eine alte Tradition!
Man muss zugeben, dass dieses Spiel auch Jean-Christophes kleine Schwäche ist. Übrigens war er es selbst, der die brillante Idee hatte, die charmante Stadt Gschnitz in „Gschwitzt” umzubenennen. Warum? Nun, nachdem er letzten Montag der sengenden Hitze ausgesetzt war, fühlte er sich wie in einem türkischen Bad, erinnern Sie sich. Auf Deutsch sagt man „ich habe viel geschwitzt”, und offensichtlich wollte Jean-Christophe seine schweißtreibende Leistung in der lokalen Ortsnamenkunde verewigen!
Gneis und rostige Steine
Der Abstieg beginnt auf riesigen grauen Platten, die von alten Gletschern poliert und zerfurcht wurden. Einige Platten glänzen, andere sind rotbraun: Das darin enthaltene Eisen oxidiert und macht den Stein, wenn er von der Sonne erwärmt wird, wärmer als andere.
Kleines Paradies und scheues Murmeltier
Der Weg führt über Schneefelder, durchquert eine Geröllwüste und mündet dann in eine idyllische Lichtung: ein träger Bach, vom Rost ockerfarbene Tümpel, Büschel von Wollgras. Vera eilt voraus, während Jean-Christophe stehen bleibt, um nach einem Murmeltier Ausschau zu halten. Seine Geduld wird belohnt: Schnauze gespitzt, Klick-Klack, Erinnerung festgehalten.
Wiederholter Schwindel
Was folgt, ist eine Abfolge steiler Abstiege, unterbrochen von kleinen Klettersteigen – einige einfach, andere etwas technischer, aber immer spektakulär. Ganz unten überspannt eine wackelige Brücke einen tosenden Bach; sie schwankt unter unseren Schritten, eine ferne Erinnerung an den Annapurna.
Idyllischer Abschluss
Das Gelände wird endlich flacher: glänzende Felsen, plätschernde Bäche, Triller der Wächtervögel, Teppiche aus duftenden Blumen. Vera entdeckt sogar wilden Thymian, dessen Duft die letzten Meter erfüllt.
Ankunft in der Nürnberger Hütte
Die Berghütte kommt in Sicht. Jean-Christophe, der seit gestern hungrig ist, stürzt sich auf den Tisch: einen riesigen Teller Spaghetti Bolognese (das berühmte Bergsteigeressen), gefolgt von einer Portion Kaiserschmarrn, einem typisch österreichischen süßen Gericht. Er strahlt vor Sattheit, während draußen das Gewitter tobt.
Fazit des Tages: eine eher kurze Wanderung, aber eine Vielfalt an Landschaften, eine Herde Steinböcke auf einem steilen Bergrücken und ein Crashkurs in Bergsprache. Morgen? Wir werden sehen: Das Wetter kann uns nichts anhaben, wir haben unsere Kräfte zurückgewonnen … und unseren Sinn für Humor.